Hamburg-Rahlstedt, 4. November 2024
Vorstandsbericht
Liebe Kirchenkreisvertreterinnen, liebe Kirchenkreisvertreter, liebe Gäste,
„ Vertrauen ist nicht das einzige Fundament der Welt; aber eine sehr komplexe und doch strukturierte Weltvorstellung ist ohne eine ziemlich komplexe Gesellschaft und diese ohne Vertrauen nicht zu konstituieren.“ Niklas Luhmann
Wenn ich am Anfang eines Berichtes höre, dass der oder die Vortragende das Thema „Vertrauen“ anspricht, dann werde ich hellhörig – vor allem, wenn auch eine Rechnungsprüfung und ein Haushaltsentwurf auf der Tagesordnung stehen. Misstrauen kann man sogar mit dem Thema „Vertrauen“ wecken.
Andererseits: Vertrauen in Wahlen zu erwerben, gelingt mit offenen Lügen, siehe Putin und Trump usw.; – sogar mit zugegebenen Unwahrheiten a la Vance „Haustiere Essen“. In als unsicher empfundenen Zeiten geben Macht und Hierarchien eine trügerische Sicherheit. Aber Macht macht kaputt. Hierarchien und Netzwerke sind ihre Spielwiese.
In seinem Standardwerk „Vertrauen“ weist Niklas Luhmann auf die Bedeutung vertrauter Räume für die Entwicklung von Vertrauen hin. Eine kontingente Welt brauche die Reduktion ihrer Komplexität und Vertrauen, das durch Menschen vermittelt wird. Ich zitiere so gern den Berliner Philosophen Byung-Chul Han: „die christliche Religion ist eine Meta- Erzählung, die jeden Winkel des Lebens erfasst und es im Sein verankert.“ Wir transportieren Vertrauen als Kirche und das wollen wir auch mit unserem Verein. Dafür sind wir da.
Der Pastorinnen- und Pastorenverein der Nordkirche versteht sich als Solidargemeinschaft, auch mit Vikarinnen und Theologie- Studierenden – als eine Solidargemeinschaft, die -ähnlich wie eine Gewerkschaft im Staat- zur demokratischen Verfasstheit der evangelisch-lutherische Nordkirche gehört. Unsere Arbeit als Verein dient der Interessenvertretung unserer Mitglieder, der Bewahrung demokratischer Rechte und Gepflogenheiten in unserer Kirche. Unter der Grundprämisse des Vertrauens begegnen wir einander und arbeiten zusammen. Der enge Kontakt und regelmäßige Austausch mit der Pastorinnenvertretung und der Schwerbehindertenvertretung und bundesweit im Verband mit allen Landeskirchen und Vertretungen ist gerade in dieser Zeit einer sich selbstverstärkenden Krise der Kirchen unverzichtbar und gut.
Anders als die Vertretungen sind wir frei in unserer Kommunikation und nicht zur Loyalität verpflichtet. Wir verfügen, anders als die Vertretungen, über eigene finanzielle Mittel.
Im vergangenen Jahr haben wir diese Mittel besonders im Bereich der Unterstützungen und der Themen eingesetzt, wobei wir den Umfang und den Bereich von Unterstützungen ausgeweitet haben:
- Zukünftig werden auch Studierende unterstützt. Sie erhalten einen Zuschuss von 100 €, wenn Sie ein Gemeindepraktikum wahrnehmen wollen.
- Vikar*innen, die bei uns Mitglied sind, erhalten einen Zuschuss in Höhe von bis zu 200 € für ihre Studienreise.
- Pastor*innen werden zukünftig in Zusammenarbeit mit dem Verband, wenn sich 3 oder mehr Kinder in einer Ausbildung befinden, finanziell nicht mehr mit einem Darlehen sondern mit einem nicht rückzahlbarem Zuschuss unterstützt.
- Der Verein unterstützt auch über den Bereich der Nordkirche hinaus – z.B. Punkt dieses Jahr im Fall einer Pastorin aus Tansania, die in der nordelbischen Kirche einige Jahre wirkte, bei Krankheitskosten.
- In besonderen Notfällen sind wir für unsere Mitglieder da. Für alle, Studierende, Vikarinnen, aktive und Pastorinnen im Ruhestand gilt, dass wir bei Konflikt- und Notfällen beratend und auch finanziell beistehen. So haben wir bei einer Nichtübernahme aus dem Vikariat mit Gesprächen und auch finanziell beim Rechtsweg geholfen.
Wir empfehlen dringend – schon mit Beginn des Vikariats – eine Berufsrechtsschutz- versicherung abzuschließen. Ein falscher Missbrauchsvorwurf oder ein Konflikt in der Gemeinde kann schnell zu 5-stelligen Anwalts- und Gerichtskosten führen.
Konflikte gibt es in vielen Bereichen und in allen Altersstufen. Es geht um Konflikte in der Ausbildung oder als Pastorin im Probedienst, in der Gemeinde, mit Kolleginnen oder Dienstaufsichtsführenden, um Besoldung und die Berechnung der Versorgung, um die Wiedereingliederung im Krankheitsfall, um die Beihilfe u.s.w..
In vielen Gesprächen wird gesagt: sie sind die ersten wirklich zuhören. Wir versuchen zu vermitteln. Oft reichen Gespräche, um Konflikte zu entlasten und Rechtswege zu vermeiden.
Wir nehmen uns Zeit zum Zuhören bei Überanstrengung oder beruflichem Kummer.
In unserer neuen Satzung werden in den Kirchenkreisen und -bezirken Vertrauens- pastor*innen vorgesehen. Fälle werden nur mit dem Einverständnis der Betroffenen im Vorstand oder weitergehend besprochen.
Die Themen unseres Vereins reichen über das direkte soziale Handeln hinaus. Ich nenne nur drei Stichworte: ForuM- Studie, Zukunftsprozess und KMU 6. Jedes dieser Themen braucht mehr Zeit als ein Seminar bietet (Am Seminar über die KMU 6 von Frau Prof. Dr. Pohl-Patalong nehmen 2 Vorstandsmitglieder teil).
Weitere Themen:
In Gesprächen und auch nahezu bei jedem monatlichen Bericht der Pastorinnenvertretung in unseren Vorstandssitzungen hören wir von der Verbitterung und der Ausgrenzung von Pastorinnen, die in den Ruhestand treten und auf der anderen Seite von Überlastung, Stellenwechsel oder sogar Berufswechselplanungen von Pastorinnen im Probedienst. Deshalb planen wir am 10. März 2025 einen Pastorinnentag, voraussichtlich in Hamburg mit Prof. Dr. Pohl- Patalong zum Thema Arbeitszeit und Freiheit im Pfarramt. Die Situation der Pastor*innen, der Zukunftsprozess und die KMU 6 werden dabei sicher eine Rolle spielen.
Zur Vorbereitung gehört auch, dass wir unsere Öffentlichkeitsarbeit neu gestalten. Sie ist bei den augenblicklichen Belastungen ehrenamtlich nicht zu leisten. Der Vorstand hat deshalb die Fa. Webdesign TH, Hamburg mit einer Aktualisierung und der Wartung ihrer Website beauftragt. Jörg Denecke und Achim Strehlke aus dem Vorstand begleiten den Prozess.
Vom 12. -14. Februar 2024 hatten wir zur Nordschiene (Pastorinnenvereine Meck.Pom.; Berlin/Brandenburg; Hannover; Bremen; Oldenburg; Nordwest-reformiert; Braunschweig; Nordelbien und als Gast der neue Vorsitzende des Pfarrerinnenverbandes Eckehard Möller aus Dresden) in das Ansgar-Haus in Hamburg eingeladen. Als Referentin begleitete uns die Juristin Frau Dr. Liane Bednarz. Ihr Thema: Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern. In ihrem Debattenbuch, dessen Kernthesen sie vorstellte, deckte Liane Bednarz die Netzwerke der rechten Christen auf, beschrieb ihre Feindbilder, Überzeugungen und Aktionsformen und warnte vor den gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Instrumentalisierung von Religion.
Am zweiten Tag der Tagung besuchte uns die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs. In Kleingruppen hatten wir uns auf das im Februar besonders aktuelle Thema ForuM Studie vorbereitet. Das Gespräch über das Thema Mißbrauch und sexualisierte Gewalt, Prävention, Schutz bei falschen Beschuldigungen und den Umgang mit Personalakten mit Frau Bischöfin Fehrs war intensiv und informativ.
Abschließend kann ich noch von der Tagung des Pfarrerinnenverbandes in Kaiserslautern im September berichten. Sie fand, wie gewohnt, direkt vor dem Pfarrerinnentag statt. Zur Information über dessen Thema „Kirche und Demokratie“ verweise ich auf die Website des Pfarrerinnenverbandes. Wir waren in Kaiserslautern mit 6 Vorstandsmitgliedern vertreten. Unsere stellvertretende Vorsitzende, Wiebke Böckers, nahm als Vertreterin für Joachim Gerber aus Pommern an den Vorstandssitzungen des Verbandes teil, ich an der Vorsitzendenrunde und wir alle stimmberechtigt an der Mitgliederversammlung des Verbandes. Der neue Vorsitzende Eckehard Möller aus Dresden verabschiedete seinen Vorgänger Andreas Kahnt. Ich will hier noch einmal für seine langjährige und engagierte Arbeit danken. Themen waren u.a. die oben erwähnte Neugestaltung der Unterstützung von Pastorinnen, die gleichzeitig drei oder mehr Kinder in der Ausbildung haben und der Fall Michaelis.
Um Pfarrer Martin Michaelis aus Thüringen, ehemals Vorsitzender der Pfarrer*innengesamtvertretung der VelKD, gab es eine Auseinandersetzung, nachdem er sich auf einer öffentlichen Querdenkerveranstaltung als Pfarrer, unter Berufung auf die Gewissensfreiheit nach Martin Luther, gegen die Impfpflicht ausgesprochen hatte. Ich will zu dem Verlauf des entstehenden Konfliktes mit Dienstaufsichtsführenden und dem sich daran anschließenden Konflkt im Verband über das weitere Vorgehen nicht ausführlich berichten. Entscheidend für mich persönlich war ein Interview in der Zeit mit ihm, in dem Pfarrer Martin Michaelis die Aussage von Gauland über den deutschen Faschismus als „Vogelschiß der Geschichte“ verteidigte.
Als ich das Zitat aus der Zeit in der Mitgliederversammlung vorstellte, wurde der Antrag eines Pfarrvereins, Pfarrer Michaelis zur Seite zu stehen, fallen gelassen. Aber die Kommunikation im Pfarrverbandsvorstand soll nun verbessert werden. Pfarrer Martin Michaelis ist inzwischen als Parteiloser über die Liste der AfD in seinem Heimatort Quedlinburg zum stellv. Stadtrat gewählt worden.
Schließen möchte ich mit Bemerkungen, die mir in Gesprächen mit Amtsgeschwistern seit Monaten mehrfach begegnen: „ Mit der Kirche habe ich abgeschlossen“, oder „ Mit dieser Kirche will ich nichts mehr zu tun haben.“ Ich frage mich, was passiert ist. Vereinzelt kam so ein Wort in einem Konflikt, im Zorn gesprochen, vor – aber mehrfach?
Würde Jesus jetzt nach der Stillung des Sturms fragen: Habt ihr kein Vertrauen mehr?
Ich bitte den Vorstand zu ergänzen, was noch mitzuteilen wäre, und um Nachfragen bei Unklarheiten.
Danken möchte ich dem Vorstand für das vergangene Jahr und ganz ausdrücklich unserem Rechnungsführer, Jörg Jakisch. Die Arbeit kostet Zeit und Kraft in einer sehr belasteten Zeit. Dank auch an Axel Prüfer ,den Vorsitzenden der Pastor*innenvertretung und an Bernd Böttger, den Geschäftsführer der Vertretung, Vorsitzenden der Schwerbehindertenvertretung und Mitglied unseres Vorstandes für die gute Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank
Herbert Jeute
Anmerkungen:
1) Niklas Luhmann, Vertrauen, 4.Aufl. 2009 Stuttgart, S.126
2) Byung-Chul Han, Krise der Narration, 2.Aufl. 2023, Berlin S.10