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Für den neuesten Newsletter (Juli 21) steht dieser Text:
Pastor*in: In oder an der Kirche, bzw. Gemeinde? als pdf
Verwirrung macht sich breit: Sind wir am Ende religiöse Dienstleister? Die enge Verbindung von einer konkreten Gemeinde und ihrer Pastor*in löst sich zunehmend. Zum Teil ist das von Seiten der Gemeinden und Pastor*innen so gewollt, zum Teil scheint das einfach eine Notwendigkeit zu sein, dann heißt es, da wäre gar nichts anderes mehr zu machen. Heute ist das halt so, die Jüngeren wollen das eh. Die Gemeinden, oder was davon noch übrig ist, werden in der Regel eher vor vollendete Tatsachen gestellt. Vielleicht haben einige der Amtsanfänger*innen nie eine lebendige und solidarische Kirchengemeinde kennengelernt?
Sind Pastorin, Pastor selbst Gemeindeglieder oder stehen sie ihnen nur entsandt gegenüber?
Das hat Konsequenzen dafür, wer wir als Kirche sind. Vermutlich ist den meisten nicht recht klar, wie tiefgreifend Änderungen da sein können. Es ist von 2030 die Rede und das scheint schon weit gegriffen. In Wahrheit werden unter Umständen Jahrhundertealte Ordnungen eben mal für den historischen Moment aus den Angeln gehoben. Theologisch argumentiert dabei kaum jemand. „Praktische“ Gründe überwiegen, man wertet soziologischen Fragebögen aus oder sagt einfach: So macht man das heute. So ist das jetzt. Das verspricht Erfolg. Die Berater haben uns das so dringend empfohlen. So sind halt die Zeiten. Es ist wie mit den Neuen Medien: Es gibt sie, also müssen wir sie auch nutzen, sonst fallen wir aus „der Zeit“. Das Wort „Fortschritt“ glänzt nach wie vor, „konservativ“ will oder soll man nicht sein.
Was interessiert uns unser Geschwätz von gestern? Oder gar das von den Anderen?
Dabei schwimmen wir, lassen uns durch alle möglichen Trends bestimmen, ohne immer zu wissen, woher die Winde kommen und wohin sie gehen.
Vertrauensverlust in die Politik ist u.a. darin begründet, dass man den Eindruck hat, die Politik ist den Problemen nicht gewachsen, sie hat die Macht im Grunde verloren, sie lässt sich nur treiben. Auch darum haben Populismus, Versprechungen und Verschwörungsideen Hochkonjunktur. Wir wollen das Ruder in der Hand behalten, machen, gestalten und vorantreiben und uns nicht uns treiben oder verschaukeln lassen.
Wie sieht das aber für die Kirche aus, in der das Subjekt des Handelns nicht der Mensch, Synoden, Experten oder Bischöfe sein sollten, sondern Gott? Da lässt man sich weder treiben, noch „macht“ man einfach. Da gilt es zu hören, zu bedenken, zu vertrauen, zu glauben und zu hoffen, und zwar miteinander.
In der Kirche heißt die Frage nicht: Wie machen wir das, beherrschen die Situation? Da lautet die erste Frage: Was haben wir zu predigen in Zeiten von Kontrollverlustes, der Machtlosigkeit der Politik? Wenn zugleich geplant, gemacht, manipuliert und geherrscht wird wie nie zuvor in der Geschichte der „einen Welt“?
Und wer oder was sind oder könnten da Gemeinden sein, aus denen unsere Landeskirche sich zusammensetze? Und wer und was sind darin Pastor*innen?
Mir kommen viele praktische Regelungen zu schnell, und vor allem: Sie wachsen nicht aus den Gemeinden heraus. Die Kirchengemeinderäte werden mehr gedrängt, als dass sie selbst etwas entwickelten. Nach den jetzigen Gesetzen werden sie oft nur „angehört“ bei Fragen, die absolut wesentlich sind für ihre unmittelbare Zukunft und ihrer vielbeschworenen Eigenständigkeit.
Pastor*innen, das ist Gemeindeamt. Oder etwa nicht?
Menno Aden (die älteren Mecklenburger werden sich an ihn erinnern) sagte mir: Die Kirche kann im Grunde auf die Gemeinden weithin verzichten. Er sagte mir das als dunkle Befürchtung. Der Gedanke lässt sich weiter ausziehen. Aus der Soziologie ist bekannt, dass sich bestimmte Formen von ihrem eigentlichen Zweck entfernen und wie Hülsen jahrzehntelang weiterexistieren. Geht uns das am Ende mit dem Gottesdienst und der Kirche ebenso? Hat sich der Herr der Kirche schon aus dem Raum geschlichen, bzw. man hat ihn einfach mal stehengelassen oder hält ihn schon für tot?
Das wäre verständlich, denn mit dem Auferstandenen lässt sich ebenso wenig verhandeln wie mit einem verstorbenen Großvater. Er ist halt außer Landes, und wer weiß, ob er wiederkommt,… In den Gleichnissen hat Jesus das schon beschreiben.
In der Ehetherapie scherzt man: Schatz, wir müssen reden. In der Kirche müssen wir sehr viel reden, und zwar nicht über Äußerlichkeiten und wie wir uns gerade fühlen oder was wir gerne hätten. Vor allem und oft und sehr regelmäßig müssen wir das Gespräch mit dem Haupt der Kirche führen, also Gottesdienste feiern. Gemeinde ist nichts ohne sie, und die Institution Kirche mit ihren Ämtern, Verwaltungen und Arbeitsstellen auch nicht.
Vernachlässigen wir, worauf es ankommt, werden wir zum Gespenst. Gespenstisch kommt mir manches jetzt schon vor. Wenn wir von der Struktur der Kirche sprechen, fallen uns Ämter und Arbeitsstellen ein, die „Gemeinde“ ist nur ein Element darin. Aber nach unserem Bekenntnis geschieht im Gottesdienst vor Ort „Kirche“, als Versammlung der Glaubenden, auf Gottes Wort Hörenden und in der Gemeinschaft des Abendmahls.
Doch wenn der Kirchenmusiker nur noch Angestellter der Kirchengemeinde ist und der/die Pastor*in irgendwo im Gemeindeverband angebunden sein sollte, was ist dann noch die Kirchengemeinde? Wieder eine Erinnerung der Mecklenburger: Heinrich Rathkes Büchlein „Gemeinde heute und morgen“ (EVA 1979). Es lohnt, diese Schrift wieder hervorzuholen.
Irgendwann verkommt Gemeinde vielleicht zu Publikum und Mitgliedszahlgemeinschaft, religiösem Verein mit Sympathisanten, denen ihre Institution Veranstaltungen und religiöse Dienste anbietet?
Menno Aden hatte recht: Die Institution oder juristische Erbengemeinschaft „Kirche“ kommt auch ohne diese oder jene „Gemeinde“ im alten Stil aus. Ich denke, wir müssen neu entdecken, als was sich Gemeinde in unseren schillernden Zeiten erweisen könnte. („Liebt einander, wie ich euch geliebt habe!“ Vgl. dazu auch Ex 3, 14: Mose kann den Israeliten nicht mal sagen, was „Gott“ denn nun eigentlich für einer sei. Doch gerade so sammelt er um sein Gebot, das Bundeszelt herum sein Volk.)
Die Verfassung unserer Nordkirche ist klar: Jeder Gemeinde wird ein Pfarramt zugewiesen. Und Pastor*in ist selbstverständlich dort auch Gemeindeglied, qua Amt. Wir müssen das vielleicht nur hin und wieder auch mal neu durchbuchstabieren, aber nicht gleich alles auf größere Haufen werfen.
Pastor Dr. Martin Grahl, Fehmarn, Juli 2021